Versicherungsrecht: Unwirksame Klauseln im Kleingedruckten

Versicherer verzichten regelmäßig bei Massenprodukten auf die Stellung von Gesundheitsfragen. Um das so ungeprüft übernommene Risiko dennoch einzugrenzen wurden in die Vertragsbedingungen Klauseln aufgenommen, die v.a. für „ernstliche Erkrankungen“ und „Unfallfolgen“ zeitlich befristet den Versicherungsschutz ausschließen. Eine derartige Klausel hat nunmehr der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 10.12.2014 für intransparent und damit unwirksam erklärt, BGH IV ZR 289/13.

Sachverhalt

Der beklagte Versicherer bietet u.a. Ratenschutz-Versicherungsverträge an und unterhält mit einer Bank als Versicherungsnehmerin einem Gruppenversicherungsvertrag. Verbraucher, die bei der Bank ein Darlehen aufnehmen, können dem  Gruppenversicherungsvertrag als versicherte Personen beitreten. Der Ratenschutzversicherung lagen u.a. die Allgemeine Bedingungen der Beklagten für die Ratenschutz-Versicherung (AVB-RSV) zugrunde. Dort war unter „§ 6 Ausschluss der Leistungspflicht für alle versicherten Risiken“ geregelt:

„Der Versicherungsschutz erstreckt sich nicht auf die der versicherten Person bekannten ernstlichen Erkrankungen (das sind Erkrankungen des Herzens, der Wirbelsäule und Gelenke, der Verdauungsorgane, Krebs, HIV-Infektion/AIDS, chronische Erkrankungen) oder Unfallfolgen, wegen derer die versicherte Person in den letzten zwölf Monaten vor Beginn des Versicherungsschutzes ärztlich behandelt wurde.

Diese Einschränkung gilt nur, wenn der Versicherungsfall binnen der ersten 24 Monate nach Beginn des Versicherungsschutzes eintritt und mit diesen Erkrankungen oder Unfallfolgen in ursächlichem Zusammenhang steht.“

Entscheidung

„Die Regelung benachteiligt die Versicherten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, weil sie nicht klar und verständlich ist (…). Wird der Versicherungsschutz durch AVB-Klauseln eingeschränkt, so muss dem Versicherungsnehmer oder Versicherten deutlich vor Augen geführt werden, in welchem Umfang Versicherungsschutz trotz der Klausel noch besteht.  Diesen, den Transparenzgebot entspringenden Vorgaben entspricht die verwendete Klausel nicht.

So fordert die Formulierung „ernstliche Erkrankung“ von der versicherten Person eine Einstufung bekannter Erkrankungen, ohne dass klare Kriterien vorgegeben würden. Die Beispiele im verwendeten Klammerzusatz sind dabei kein Hilfe und tragen vielmehr zur weiteren Verunsicherung des Versicherten bei. Weiter bleibt unklar, ob jede Unfallfolge ausgeschlossen  sein soll oder nur „ernstliche“. Schließlich kann der Versicherte den Zeitraum nicht festlegen, weil dieser vom Auszahlungszeitpunkt des Darlehens abhängt und damit zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht erkennbar ist.“

Anmerkung

Mit der Entscheidung des BGH ist die Rechtsunsicherheit, die aufgrund divergierender Entscheidungen verschiedener Oberlandesgerichte entstanden ist, beseitigt worden. Überdies wurde die Rechtsstellung der Verbraucher damit (weiter) gestärkt. Gerade dann, wenn der Versicherungsschutz durch eine Klausel eingeschränkt wird, muss der Umfang des tatsächlich eingekauften Versicherungsschutzes so klar umrissen sein, dass der durchschnittliche Versicherte ihr hinreichend entnehmen kann, was noch versichert ist. Das ist zu begrüßen.

Bemerkenswert ist dagegen, dass der BGH keine Ausführungen zu den Regelungen im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) über die vorvertragliche Risikoprüfung anstellt.

Die Versicherer wollen ihren Verwaltungsaufwand im Massengeschäft – entsprechend der relativ geringen Beiträge – übersichtlich gestalten. Dies ist zwar nachvollziehbar, allerdings werden dadurch letztlich die gesetzlichen Vorgaben umschifft. So enthalten die §§ 19 ff VVG 2008 ausführliche Regelungen zur Risikoprüfung vor Vertragsschluss. Gem. § 32 VVG 2008 darf von diesen gesetzlichen Vorgaben nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden.

Es ist Sache des Versicherers vor Vertragsschluss zu klären, ob er das ihm angetragene Risiko eindecken möchte. Das Gesetz räumt ihm hierzu ein weit reichendes Fragerecht ein, ermächtigt ihn zur Abfrage von Gesundheitsdaten und sieht entsprechend scharfe Sanktionen bei falschen oder unvollständigen Angaben vor. Verzichtet der Versicherer aber bewusst auf die Überprüfung des Risikos, so muss er auch mit dem eingegangenen Risiko leben. Eine Überbürdung dieses Risikos auf den Versicherungsnehmer stellt damit letztlich eine Umgehung der halbzwingenden Normen zu den vorvertraglichen Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers dar.

Ausblick

Trotz der eindeutigen Aussagen des BGH ist mit einer zeitnahen Anpassung der vertraglichen Regelungen nicht unbedingt zu rechnen. Auch berufen sich Versicherer immer wieder auf Regelungen, die höchstrichterlich bereits für unwirksam befunden wurden; dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund leicht abweichender Formulierungen in den jeweiligen konkreten Vertragsbedingungen der einzelnen Versicherer. Die Chancen im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung stehen bei Hinweis auf diese Entscheidung dann aber zumindest nicht schlecht. Auch kann gegen den durch die angeführte Entscheidung des BGH bereits gebundenen Versicherer ein Ordnungsgeld festsetzen werden.

Michael Schmidl
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