Gleichheit und Gerechtigkeit in einer ethischen Notlage

Nicht nur aufgrund der Corona-Pandemie kann es in den Krankenhäusern zu einer der schwierigsten und herausforderndsten Situationen für die Ärzte und Ärztinnen vor Ort kommen: Alle Ressourcen zur Versorgung sind ausgeschöpft, zusätzlich besteht auch noch ein Mangel an Ärzten und Pflegepersonal, aber gleichzeitig eine Überbelastung in der Notfallversorgung.

Spitzt sich die Situation derart in den Krankenhäusern zu, dass nicht mehr jeder Patient sofort behandelt werden kann, stellt sich für die Ärzte und Ärztinnen die Frage, wer die Behandlung als Erster bekommt, es kommt zu einer sog „Triage-Entscheidung“.

Die „Triage“ bezeichnet im medizinischen Bereich die Einordnung von Patienten in Kategorien, je nach Schwere der Erkrankung, mit dem Ziel, durch die Beurteilung der Dringlichkeit der Behandlung eine Behandlungsreihenfolge zu bestimmen, um allen Patienten die bestmögliche Versorgung zukommen lassen zu können.

Bereits seit den 1980er Jahren wurde das Schema STaRT („Simple Triage and Rapid Treatment“, „Einfache Triage und schnelle Versorgung“) für den modernen Rettungsdienst wegweisend. Im März 2020 gewann der Begriff nun mit Ausbreitung der Corona-Pandemie immer mehr an Bedeutung.

Zwar kommt das „Triagieren“ im normalen Betrieb der Notaufnahmen alltäglich zum Einsatz, indem Patienten durch eine Ersteinschätzung in lebensbedrohlichen Situationen identifiziert und entsprechend priorisiert versorgt werden, allerdings geht die Triage in der Notaufnahme grundsätzlich davon aus, dass alle eintreffenden Patienten auch entsprechend versorgt werden können. Im Unterschied dazu, legt die Triage in Katastrophenfällen, oder wie in der aktuellen Pandemie-Situation, zu Grunde, dass nicht alle Patienten angemessen versorgt werden können, aber so viele wie möglich.

Ausgangspunkt einer Triage-Entscheidung ist also immer, dass für die Versorgung zahlreicher, lebensgefährlich Verletzter oder lebensbedrohlich erkrankter Patienten, nur eine begrenzte Kapazität von medizinischem Personal und medizinischer Ausrüstung zur Verfügung steht. Es ist nun also eine Entscheidung zu treffen, wer vorrangig behandelt wird.

Da es in Deutschland noch kein Triage-Gesetz gibt, wurden im Jahr 2020 von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) sogenannte Handlungsempfehlungen in Form medizinischer S1-Leitlininen zur intensivmedizinischen Therapie von Patienten mit COVID-19 herausgegeben. Die Priorisierung von Patienten soll sich in erster Linie an dem Kriterium der klinischen Erfolgsaussicht orientieren, sodass vorrangig die Patienten behandelt werden, die durch die Maßnahmen eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit haben. Eine Priorisierung nach Alter, sozialer Kriterien, oder Grunderkrankungen erfolgt aufgrund des Gleichheitsgebots hingegen nicht.

Außerdem soll die Entscheidung nach dem Mehraugen-Prinzip getroffen werden, indem zwei intensivmedizinisch erfahrene Ärzte, sowie ein erfahrener Vertreter des Pflegeteams und ggf. noch ein weiterer Fachvertreter an der Triage-Entscheidung beteiligt sind.

Gegen diese bisherige Vorgehensweise hatten neun Menschen mit Behinderung, oder Vorerkrankungen, vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16.12.2021 stellte das Gericht nun klar, dass es aufgrund „unbewusster Stereotypisierung“ durchaus zu einer Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen kommen kann und so aufgrund der fehlenden, gesetzlichen Regelung das Risiko bestehe, dass die Überlebenschancen behinderter Menschen als geringer eingeschätzt werden und damit behinderte Menschen bei medizinischen Entscheidungen benachteiligt werden könnten, was wiederum gegen Art. 3 Abs.3 Satz 2 GG verstoßen würde.

Das Triage-Entscheidungt verpflichtete in seinem Beschluss nun den Gesetzgeber dazu, Vorkehrungen zu treffen, dass niemand im Falle einer Triage, insbesondere aufgrund einer Behinderung oder Vorerkrankung, benachteiligt wird.

Es bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber diese Pflicht umsetzt.