Geraten Arbeitnehmer wegen der Bezahlung von Überstunden mit dem Arbeitgeber in Streit, gibt es für Arbeitnehmer vor dem Arbeitsgericht oft ein „böses Erwachen“. Häufig werden die Ansprüche zurückgewiesen, weil sie ihrer sogenannten „Darlegungs- und Beweislast“ nicht nachkommen können. Grundsätzlich gilt nämlich, dass Arbeitnehmer hinsichtlich jeder einzelnen Überstunde darlegen und beweisen müssen, an welchem Tag und von wann bis wann diese geleistet worden ist. Zusätzlich ist vorzutragen und nachzuweisen, dass der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat.
Wie kann ein solcher Nachweis gelingen? In Bereichen, in denen dies gesetzlich vorgeschrieben ist (z. B. im Transportgewerbe oder bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen), können vorhandene technische oder handschriftliche Aufzeichnungen herangezogen und ausgewertet werden. Was gilt aber in den allen anderen Fällen? Ist der Arbeitgeber nicht grundsätzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten seiner Mitarbeiter aufzuzeichnen?
Eine allgemeine gesetzliche Regelung enthalten weder das Arbeitszeitgesetz, dessen Einhaltung in erster Linie dem Arbeitsschutz dient, noch andere gesetzliche Vorschriften.
Für Aufsehen hatte deshalb im Jahr 2019 ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs gesorgt. Der EuGH verpflichtete darin die europäischen Mitgliedsstaaten, eine entsprechende nationale gesetzliche Regelung zur Aufzeichnungspflicht zu schaffen. Allerdings wurde dadurch keine unmittelbare und ab sofort geltende Verpflichtung für die Arbeitgeber geschaffen, die tägliche Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer zu erfassen. Der Bundesgesetzgeber hat die Vorgaben des EuGH bis heute nicht umgesetzt. An der Rechtslage hat sich also alleine durch das Urteil nichts geändert.
Mit großer Spannung wurde deshalb die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 04.05.2022 erwartet, von der man sich erhoffte, dass das Gericht zumindest die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess zugunsten der Arbeitnehmer erleichtern oder sogar umkehren würde. Diesen Hoffnungen hat das BAG allerdings eine klare Absage erteilt. Es hat entschieden, dass trotz der ergangenen Rechtsprechung des EuGH an den bisherigen Grundsätzen für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess festgehalten wird. Das gilt jedenfalls solange es keine gesetzliche Neuregelung gibt.
Für die Praxis bedeutet das, dass Arbeitnehmer, die Überstunden ableisten, nach wie vor eigene Vorsorge treffen müssen, um ihre Ansprüche zu sichern. Dazu ist es in der Regel erforderlich, auf den Arbeitgeber zuzugehen und gegebenenfalls auch darauf zu drängen, dass Überstunden erfasst, noch besser auch „abgezeichnet“ werden. Außerdem sollte für den Fall, dass der Arbeitgeber keine Überstundenvergütung bezahlt, nicht lange zugewartet werden. In vielen Tarifverträgen oder Arbeitsverträgen gibt es nämlich sogenannte Ausschlussfristen, nach denen Vergütungsansprüche innerhalb sehr kurzer Fristen (regelmäßig: 3 Monate ab Fälligkeit der Ansprüche) verfallen, wenn sie nicht vorher schriftlich geltend gemacht worden sind.
- Aufzeichnungspflicht von Überstunden? - 7. Juni 2022
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