Hintergrund:
Das Vorliegen eines Unfalles ist die zentrale Anspruchsvoraussetzung in der Privaten Unfallversicherung. Naturgemäß hat der Unfallversicherer Leistungen nur für den Fall eines Unfalles versprochen. Egal ob der Versicherungsnehmer nunmehr Invaliditätsleistungen, eine Unfallrente, Krankenhaustagegeld, Krankengeld oder sonst vereinbarte Leistungen begehrt, das Vorliegen eines Unfalls hat er in jedem Fall grundsätzlich darzulegen und im Zweifel auch zu beweisen.
Die Entscheidung:
Der Versicherte versuchte, während eines Beachvolleyballspiels in der Türkei, den Ball zu erreichen. Hierzu machte er einen großen Ausfallschritt. Er blieb jedoch mit dem linken Fuß im Sand stecken und verdrehte sich dabei das linke Knie nach innen. Als Folge verlor er das Gleichgewicht, stürzte und kam im Hürdensitz, also mit dem Gesäß auf dem linken Sprunggelenk, auf dem Boden auf. Diese Position war bereits unangenehm und beim Aufstehen verspürte der Kläger einen stechenden Schmerz und ein Gefühl im linken Knie, dass er mit Aufreißen eines Klettverschlusses verglich. Ein Arzt stellte später fest, dass sich der Versicherte einen Innenmeniskusriss zugezogen hatte. Seither ist die Funktionsfähigkeit des Beins dauerhaft eingeschränkt.
Der private Unfallversicherer teilte jedoch mit, dass bereits kein Unfall vorläge. Vielmehr handele sich um eine willensgesteuerte Eigenbewegung, die gerade nicht unter den Versicherungsschutz falle.Nach Ansicht des Versicherers soll es an einer äußeren Einwirkung fehlen.
Das Landgericht hat den Versicherten zum Unfallhergang angehört und im Übrigen die Ehefrau des Versicherten zu den weiteren Umständen als Zeugen einvernommen. Bereits die Mitspieler waren dem Versicherten namentlich nicht bekannt, so dass weitere Beweismittel nicht zur Verfügung standen.Danach kam bereits das Erstgericht zu dem Ergebnis, dass ein Versicherter Unfall vorliegt. Auch das OLG Nürnberg sah darüber hinaus den Unfallbegriff als gegeben an und führte unter Bezugnahme auf Langheid/Rixecker, VVG 5. Aufl. 2016, § 178 Rn.3, 6-7 m.w.N. aus:
„Zur Abgrenzung von nicht versicherten Eigenbewegungen kommt es jedoch allein auf das Geschehen an, das die gesundheitliche Erstschädigung unmittelbar bewirkt, ob dieses Geschehen also außerhalb des Körpers des Versicherten steht oder ein rein innerer Vorgang ist. Es ist also unerheblich, ob das äußere Geschehen, das die Verletzung des Körpers bewirkt, seinerseits durch eine Eigenbewegung ausgelöst ist.“
Zum anderen berief es sich auf Leverenz in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2010, § 178 Rn. 63-65 m.w.N. als es feststellte:
„Ein Ereignis wirkt von außen auf den Körper der versicherten Person ein, wenn diese durch eigene Bewegung eine Kollision ihres Körpers mit der Außenwelt verursacht hat. […] Selbst wenn die Eigenbewegung der versicherten Person am Anfang willentlich in Gang gesetzt wurde, genügt es zur Annahme eines äußeren Ereignisses, wenn die Bewegung im weiteren Verlauf […] nicht willensgesteuert abläuft und eine äußere Einwirkung dann zumindest mitursächlich für die Gesundheitsschädigung wird.“
Nach Ansicht des OLG Nürnberg kann eine beabsichtigte vorrausgehende Eigenbewegung nicht dazu führen, dass ein Unfall nicht mehr angenommen werden kann. Vielmehr ist darauf abzustellen ob die Körperbewegung durch Einwirkungen von außen anders als geplant verläuft. Das Gericht hielt zusammenfassend fest:
„Erforderlich ist, dass die geplanten Bewegungsabläufe nicht programmgemäß verlaufen. Ihr Ablauf oder Abschluss muss von außen gestört oder behindert werden. Dass im Rahmen einer gewollten Bewegung eine Verletzung erlitten wird, ist noch kein Unfallereignis. Die Bewegung muss anders als gewollt verlaufen oder abgeschlossen werden“.
Das OLG Nürnberg hält es expressis verbis für nicht ungewöhnlich, dass ein im Sand feststeckender Fuß einer starken Bremswirkung unterliegt. Dies stellt eindeutig eine Einwirkung von außen auf den Körper des Versicherten dar. Das erstinstanzliche Urteil wurde bestätigt und die Revision nicht zugelassen. Eine grundsätzlich mögliche Nichtzulassungsbeschwerde hat der beklagte Versicherer nicht eingelegt. Das Urteil ist damit rechtskräftig.
Kontext der Entscheidung:
Ein Unfall liegt immer dann vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet (§ 178 II 1 VVG). Diese im Legaldefinition wird regelmäßig auch in den Verträgen der Unfallversicherer verwendet.
Bereits 1984 beschäftigte sich der BGH (BGH IVa ZR 88/83) mit dem Problem, ob bei einem „überraschend heftigen Aufprall auf den Boden“ nach einem Sprung aus 50cm Höhe „Plötzlichkeit“ angenommen werden könnte und bejahte diese. Laut BGH ist Plötzlichkeit immer dann gegeben, wenn das objektive Geschehen sich in einem kurzen Zeitraum realisiert. Jedoch wird auch das subjektive Element des Unerwarteten als plötzlich angesehen.
Zu der Gesundheitsschädigung muss es zudem unfreiwillig gekommen sein, der Versicherte darf sich also nicht vorsätzlich verletzt haben. Nach § 178 II 2 VVG wird die Unfreiwilligkeit bis zum Beweis des Gegenteils vermutet. Lediglich das bewusste Ausüben gefährlicher und risikoreicher Sportarten, bei denen man Verletzungen für möglich hält aber nicht mit deren Eintritt rechnet, stellt noch keine freiwillige Gesundheitsschädigung dar.
Als von außen auf den Körper wirkende Ereignis zählen mechanische, elektrische, chemische oder thermische Einwirkungen. Darüber hinaus kann ein Unfall auch bei Eigenbewegungen vorliegen. Ob Verletzungen, die während oder als Folge einer solchen Eigenbewegung auftreten, auch einen Anspruch des Geschädigten gegenüber seinem privaten Unfallversicherer begründen, ist strittig. Zwar gibt es aufgrund der Bedeutung dieser Frage bereits viele verschiedene Urteile zu diesem Thema, da sich jedoch jeder Fall von den bereits verhandelten leicht unterscheidet, bereitet die Bewertung, ob ein Unfall vorliegt oder nicht, immer noch Probleme.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg fügt sich in einer Reihe anderweitiger, obergerichtlicher Entscheidungen ein. So führte das OLG München in einer Entscheidung von 1998 (OLG München 15 U 3010/97), in der ein Handballer, der sich wegen eines stumpfen Hallenbodens das Knie verletzte, seinen Unfallversicherer verklagte, aus
„Auch eigene Bewegungen des Verletzten können Unfälle bewirken, wenn die Gesundheitsbeschädigung zusammen mit einer äußeren Einwirkung ausgelöst wurde (Prölss/Martin, VVG, 25. Aufl., § 1 AUB 88, 3 a(S. 2035)). Als Beispiele gelten hierzu das Umknicken infolge einer Bodenvertiefung, Auftreten auf einer Bodenunebenheit etc. (Prölss/Martin, a.a.O.).
Auch eine besonders ungünstige Bodenbeschaffenheit (ebenso wie eine Bodenunebenheit) kann hierzu genügen“
und kam anschließend zu dem Schluss
„Die starke Bremswirkung (“Hängenbleiben“) kann nicht anders beurteilt werden, als das Auftreten auf eine Bodenunebenheit, die Verletzungen auslöst (Umknicken etc.). Letzterer Fall ist aber ein von außen auf den Körper wirkendes Ereignis im Sinne von § 1 III AUB 88 anerkannt (Prölss/Martin, § 1 AUB 88, 3 a, S.2035)“.
Das OLG Hamm kam in seinem Urteil von 2007 (OLG Hamm 2007 20 U 05/07) zu demselben Ergebnis. Es entschied, dass bei einem Umknicken, während des Fußballspielens aufgrund einer Bodenunebenheit, die nach Ansicht des Gerichts für einen Bolzplatz typisch ist, ein Unfall vorliegt.
Auch der Bundesgerichtshof beschäftigte sich 2011 mit dem Problem, als er das Urteil des OLG Celle (OLG Celle 2009 8 U 131/08) prüfte und aufhob (BGH IV ZR 29/09). Fraglich war ob ein Skifahrer, der nach einem Ausweichmanöver in einen Haufen mit lockerem Schnee fuhr daraufhin stürzte und sich verletzte, einen Unfall erlitten hatte. Zwar war die Ausweichbewegung des Skifahrers willensgesteuert, allerdings nicht der darauffolgende Sturz, der zu der Schädigung der linken Schulter führte. Der BGH bestätigte also noch einmal, dass trotz einer (zunächst) gewollten Eigenbewegung ein Unfall vorliegen kann, wenn der Schaden durch ein von außen wirkendes Ereignis ausgelöst wird.
Das Oberlandesgericht München urteilte 2012, dass die Verletzung eines Torwarts, der sich beim Abschlagen des Balles einen Muskelriss zuzog, einen Unfall darstellt (OLG München 25 U 3980/11). Dies begründet das OLG mit der Tatsache, dass der Kläger sein Bein zwar absichtlich maximal gestreckt habe, um den Ball noch zu erreichen, dies jedoch nicht zu einer Verletzung geführt hätte, wenn er den Ball verfehlt hätte. Somit ist eine unmittelbare Einwirkung von außen gegeben und ein Unfall liegt vor.
Das Kammergericht Berlin hat hingegen 2014 entschieden (KG Berlin 6U 54/14), dass eine Klägerin mit einem umgeknickten Fuß keinen Unfall erlitten hat und somit auch keinen Anspruch gegen ihren Unfallversicherer hat, solange sie nicht beweisen kann, dass sie auf Blättern ausgerutscht ist. Da die Klägerin sich die Verletzung nicht durch einen Sturz, sondern bei einem Bewegungsablauf zuzog und die Verletzungshandlung nicht durch ein von außen einwirkendes Ereignis zustande kam (zumindest durch kein bewiesenes), sieht es den Unfallbegriff nicht als erfüllt an.
Ebenfalls lag nach Ansicht des Oberlandesgericht Hamm 2015 kein Unfall vor, als ein Golfer durch einen misslungen Abschlag und einen daraus resultierenden ungeplanten Ausfallschritt einen Bandscheibenvorfall erlitt (OLG Hamm I-20 U 77/15). So sah das OLG die Schlagbewegung und den daraus resultierenden Durchschwung als vom Kläger gewollt und den Ausfallschritt als nicht hauptursächlich für die Verletzung an.
Letztendlich muss natürlich auch immer die Beweislastverteilung berücksichtigt werden. Hierzu Knappmann in Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl. 2015, § 178 Rn. 24 f.:
„Der Versicherte muss den VersFall mit Ausnahme der Unfreiwilligkeit, also das Unfallereignis und die dadurch verursachte Gesundheitsschädigung voll beweisen. […] Kann jedoch von der Art der Verletzung auf ein Unfallereignis geschlossen werden, werden Unklarheiten zum Unfallverlauf und zur Unfallursache unerheblich“.
Vor diesem Hintergrund handelt sich bei den zuletzt genannten Entscheidungen allenfalls um Ausnahmen, die die Regel bestätigen.
Auswirkungen:
Mit der gegenständlichen Entscheidung des OLG Nürnberg verfestigt sich weiter die Linie in der obergerichtlichen Rechtsprechung bei Unfällen, denen zunächst eine Eigenbewegung vorausgeht. Danach liegt ein Unfall auch in solchen Fällen grundsätzlich dann vor, wenn eine zunächst willensgesteuerte Eigenbewegung „aus dem Ruder läuft“, also von außen in ihrem Ablauf gestört wird.
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