Rechtliche Bewertung des Streams aus offensichtlich rechtswidriger Quelle

Ist Streaming aus offensichtlich rechtswidriger Quelle für den Nutzer strafbar nach § 106 Abs. 1 UrhG? Dies sei am Beispiel der Seite „kinox.to“ (Link zu Wikipedia-Eintrag) erörtert (Platzziffer 40 auf dem deutschen Alexa-Ranking- Stand Dezember 2015).

I. Der klassische Stream aus offensichtlich rechtswidriger Quelle

Über die unterschiedlichen Techniken des Streamens lässt sich ein eigener Wikipedia-Eintrag verfassen. Es gibt nicht den einen Stream. Allgemein ist ein Stream als gleichzeitiges Empfangen und Abspielen von Daten definiert, wobei eine kontinuierliche Übertragung stattfindet.

Von Interesse soll der On-Demand-Stream sein, bei dem der Anbieter dem Nutzer auf Anfrage eine Vielzahl von Datenpakteten fortlaufend überträgt. Um Schwankungen während der Übertragung zu kompensieren, geschieht die Ausgabe beim Nutzer zeitverzögert. Die Datenpakete werden in einem Zwischenspeicher beim Nutzer abgelegt, um eine fortlaufende Ausgabe zu gewährleisten. Die Datenpakte bleiben nach Ausgabe im Zwischenspeicher nur temporär erhalten. Sie werden spätestens beim Herunterfahren des Rechners automatisch überschrieben.

Dem Nutzer eines On-Demand-Streams kommt es also auf den einmaligen Werksgenuss an. Es ist „klassisches Streaming“, der Normalfall der angebotenen Streams auf „kinox.to“. Regelmäßig ist die Rechtswidrigkeit der Quelle bei „kinox.to“ offensichtlich. Es lassen sich Filme streamen, obwohl diese im aktuellen Kinoprogramm zu finden sind.

II. Strafbarkeit des klassischen Streamings

Das klassische Streaming könnte den Tatbestand des § 106 Abs. 1 UrhG erfüllen. Nach dieser Norm steht grundsätzlich die Vervielfältigung eines urheberrechtlich geschützten Werkes unter Strafe. Also müsste durch das klassische Streaming eine Vervielfältigung erfolgen. Wenn das geschützte Werk nach Übertragung in seiner Gesamtheit im Zwischenspeicher liegt, ist mit unbefangenen Blick eine Vervielfältigung zu bejahen und somit eine Strafbarkeit zu bejahen.

Jedoch findet sich in § 44a Abs. 1 Nr. 2 UrhG ein Tatbestandsausschließungsgrund. Kurzzeitige, vorübergehende Vervielfältigungen als Bestandteil eines technischen Verfahrens sollen nicht als strafbare Vervielfältigungen bewertet werden, wenn sie lediglich eine rechtmäßige Nutzung ermöglichen und keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung haben. Mit dieser Regelung will der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung tragen, dass in der digitalen Welt einmaliger Werksgenuss und Vervielfältigung nicht zu trennen sind. Wenn die Voraussetzungen des § 44a Abs. 1 Nr. 2 UrhG vorliegen, ist eine Vervielfältigung keine strafbare Vervielfältigung nach 106 Abs. 1 UrhG.

Einen klassischen Stream abzuspielen, ist eine kurzzeitige Vervielfältigung, nachdem der Zwischenspeicher spätestens bei Herunterfahren des Rechners überschrieben wird. Das Abspielen müsste allerdings einer rechtmäßigen Nutzung dienen. Rechtmäßig ist eine Nutzung, wenn diese nicht durch das Gesetz untersagt ist. Der private Werksgenuss als Nutzung ist in jedem Fall zulässig. Es ist nicht durch das Gesetz untersagt, einen Film zu betrachten. Somit dient der abgespielte Stream der Ermöglichung einer rechtmäßigen Nutzung. Wenn die Datenpakte automatisch nach Abspielen überschrieben werden, liegt auch keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung der Vervielfältigung neben der einmaligen Nutzung vor.

Somit ist das klassische Streaming keine strafbare Vervielfältigung nach § 106 Abs. 1 UrhG. Auf die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Quelle kommt es nach dem jetzigen Wortlaut des Gesetzes überhaupt nicht an.

III. Zusammenfassung/Ausblick

Das Abspielen eines klassischen Streams aus offensichtlich rechtswidriger Quelle ist nach derzeitiger Rechtslage straflos im Sinne des § 106 Abs. 1 UrhG. Ferner wäre zu überlegen, ob eine Beihilfe des Nutzers an der strafbaren Verbreitung der Anbieter von „kinox.to“ in Betracht kommt. Solange der Stream jedoch kostenfrei angeboten wird, liegt eine strafbare Beihilfe wohl nicht vor.

Aber es ist zu der Strafbarkeit von Streaming noch keine höchstrichterliche Entscheidung ergangen, sodass die Auffassung in diesem Beitrag nur eine von vielen auf dem Markt der Meinungen ist. Denn es lässt sich aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, EuGH, 05.06.2014 – C-360/13, ableiten, dass § 44a Abs. 1 Nr. 2 UrhG (diese Norm beruht auf Umsetzung einer europäischen Richtlinie) nicht anwendbar sein könnte, wenn der Stream aus einer offensichtlich rechtswidrigen Quelle gespeist wird. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs mag der rechtlichen Diskussion eine neue Richtung geben. Beendet ist die Debatte über Streaming jedenfalls nicht.

Dr. Johannes Kalb
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